Es kommt nun der Moment, vor dem ich mich fürchte: die Auflösung des Geld-im-Umschlag-Rätsels. Zwar kenne ich die Lösung – mehr noch: ich verstehe sie sogar(!), aber nur manchmal, … und außerdem weiß ich nicht, wie ich sie Nichtmathematikern klar machen soll. Ehrlich gesagt schaffe ich es kaum, sie die mich umgebenden Mathematikern in befriedigender Weise zu erklären.
Aber wer immer noch genügend nicht abgeschreckt wurde: jetzt geht’s los!
Hier noch mal das Problem an dem Problem:
Voraussetzung:
Mir werden zwei Umschläge gezeigt. In einem der Umschläge befindet sich doppelt so viel Geld wie im anderen Umschlag, ich weiß aber nicht, welcher Umschlag welcher ist. Ich wähle einen Umschlag.
Problem:
In dem einen zufällig gewählten Umschlag befindet sich eine Summe, nennen wir sie S. Wenn ich ihn öffne, erhalte ich S Euro. In einem anderen Umschlag befindet sich mit 50%er Wahrscheinlichkeit die Summe 2S, und mit 50%er Wahrscheinlichkeit befindet sich dort die Geldsumme 1/2 S. Somit erhalte ich beim Öffnen des anderen Umschlags im Erwartungswert (also im Mittel) die Summe 0,5 * 2 * S + 0,5 * 1/2 * S = 1,25 S. Widerspruch, denn aus Gründen der Symmetrie müssen die Erwartungswerte der zwei gleichberechtigten Umschläge gleich sein!
Lösung:
Bei der Aufstellung der (leider falschen) Gleichung
Erwartungswert = 0,5 * 2 * S + 0,5 * 1/2 * S
gehe ich stillschweigend von der Annahme aus, dass bei einer festen Summe S in dem einen Umschlag, die Werte 2S und 1/2 S im zweiten Umschlag gleich wahrscheinlich sind. Diese Annahme ist zwar naheliegend, aber tatsächlich falsch! Denn die Wahrscheinlichkeit, dass der zweite Umschlag der 2S- oder der 1/2 S-Umschlag ist, hängt ganz wesentlich von S ab! (mathematischer Exkurs: Täte er dies nicht, so würde dies bedeuten, dass alle Geldsummen von 0 bis Unendlich gleich wahrscheinlich wären, was aber verboten ist, denn die Summen über aller Wahrscheinlichkeiten wäre somit Unendlich – diese muss aber 1 sein!).
Kurzum: Entweder darf ich nicht so naiverweise die 0,5 ansetzen, wenn ich das S festhalten will; oder aber ich darf das S nicht festhalten!
Es gibt somit zwei Möglichkeiten, den Erwartungswert (in der Theorie) korrekt zu berechnen:
- Man hält, wie oben, das S fest. Dann muss man aber die zwei „50%“ durch sogenannte „bedingte Wahrscheinlichkeiten“ ersetzen, also
Erwartungswert = P(Umschlag ist „niedrig“ | Umschlag enthält S Euro) * 2 * S
+ P(Umschlag ist „hoch“ | Umschlag enthält S Euro) * 1/2 * S (dabei bedeutet P(A|B): Die Wahrscheinlichkeit, dass A eintritt, unter der Bedingung, dass B schon eingetreten ist),
wozu man aber die echte Verteilung der von der Spielshow verteilten Geldsummen kennen muss, um die Ps berechnen zu können.
Diese könnte z.B. folgendermaßen lauten: Der „höhere“ Umschlag beinhaltet eine Geldsumme zwischen 700 und 3000 Euro (gleichverteilt), der „niedrigere“ Umschlag dann davon die Hälfte (gerundet auf ganze Euro, womit im „niedrigen“ Umschlag zwischen 350 und 1500 sein müssen). Würde man also dann den ersten Umschlag öffnen und darin z.B. 1000 Euro finden, könnte man mit unverschämt hoher Mathematik die jeweilige bedingte Wahrscheinlichkeit berechnen, dass sich im anderen Umschlag 500 oder 2000 Euro befinden: Witzigerweise kommen bei diesem einfachen Beispiel tatsächlich jeweils 50% heraus, so dass sich hier das Wechseln lohnt! Befänden sich in dem Umschlag allerdings 1700 Euro, so wäre die Wahrscheinlichkeit 100%, dass es sich um den „hohen“ Umschlag handelt. Dann würde man natürlich nicht wechseln. Befänden sich in dem Umschlag allerdings 600 Euro, so wäre die Wahrscheinlichkeit 100%, dass es sich um den „niedrigen“ Umschlag handelt, und wieder wäre Wechseln angesagt.
Man sieht: der Erwartungswert des Wechselns hängt entscheidend von S ab! - Man bleibt bei den jeweiligen 50% als Wahrscheinlichkeit, dass man den „höheren“ oder den „niedrigeren“ Umschlag gewählt hat – dann hat man in der Formel aber zwei verschiedene S! Es müsste dann nämlich Erwartungswert = 0,5 * 2 * S_klein + 0,5 * 1/2 * S_groß
heißen, wobei S_klein die mittlere zu erwartende Summe im kleinen Umschlag und S_groß die mittlere zu erwartende Summe im großen Umschlag bedeuten. Da aber S_groß = 2 * S_klein, folgt hieraus
Erwartungswert = 1,5 * S_klein ( = 0,75 * S_groß)
Dieser Erwartungwert ergibt sich übrigens auch, wenn man nicht wechselt, und die Symmetrie ist wieder hergestellt! Dies ist übrigens der auch Lösungsweg, den das verkannte Mathegenie Gnaddrig in seinem Kommentar aufgezeigt hat.
Liebe Leser! Nun habe ich hier deutlich mehr Mathematik hingeknallt, als ich es eigentlich wollte. Das tut mir leid. Wenn es stimmt, dass jede Formel die Leserschaft um 50% reduziert (sagt Stephan Hawking), dann kann ich mit den übrig gebliebenen Lesern eine ruhige Runde Skat spielen. Zur Entschuldigung hier ein kurzer Witz:
Warum können Seeräuber den Flächeninhalt eines Kreises nicht berechnen?
Weil sie Pi raten!
Und trotzdem: Dieses Rätsel ist ein schönes Beispiel für einen vermeintlich simplen logischen Sachverhalt, der sich dann ganz anders als vermutet verhält und zu dessen Erklärung man mindestens etwas höhere Schulmathematik benötigt. Soviel zur Frage: Wozu ist Mathematik gut? Um die Welt zu verstehen (und zwar, wie hier, auch außerhalb der Physik!)
Also, wer im Blog eines bekennenden Mathematikers die Lösung zu einem Problem mit Wahrscheinlichkeitsrechnung und schon einer Formel liest, muss sich nicht wundern, wenn da eine Extraportion Mathematik drinsteckt.
Und die Illustration, wozu man ein bisschen Mathe brauchen kann, finde ich sehr gelungen. Ich geh jetzt mal Pi raten 🙂
Habe meinen Kindern den Piratenwitz erzählt. Die Sorte Wortwitze mögen sie nämlich. Musste dazu erstmal Pi erklären („Kreisumfang = Drei-und-ein-bisschen-Mal der Durchmesser. Hat unendlich viele Nachkommastellen, kann man meterweise dicke Bücher mit volldrucken und ist immer noch nicht am Ende von Pi“). Sie haben den Witz gut gefunden.
Nach einer Weile kommt von der Jüngsten (6 Jahre): Dann ist Piraten aber ein ganz langes Wort.
gnaddrig: … Meinst Du, weil Pi so eine lange Zahl ist?
Jüngste, grinst: Genau
Ganz nebenbei, weil Pi ja nie zuende ist, kann man den Flächeninhalt eines Kreises eigentlich gar nicht berechnen, oder? Man kriegt nur mehr oder weniger genaue Näherungswerte hin. Gut, für die meisten praktischen Anwendungen reichen ein oder zwei Nachkommastellen. Die sechs Nachkommastellen, die der klassische Taschenrechner schafft, sind meistens schon viel zu genau. Aber wenn’s ums Prinzip geht…
Eine schöne Geschichte, die mich sehr freut, ungefähr so: 🙂 🙂 🙂 !!!
Naja, als Mathematiker hätte ich ganz viele Einwände gegen die Behauptung, man könne eine Kreisfläche nicht genau berechnen: Als erstes würde ich sagen, „Was ist an Pi*r^2 ungenau? Genauer geht es gar nicht!“, und wenn du antwortetest, “ Man kann die Fläche im Dezimalsystem nicht genau angeben, dann sagte ich: „Klar, wenn der Radius z.B. (1/Pi)^(1/2) Meter ist, dann beträgt die Fläche genau 1 qm. Womit qed oder so.
Doch nun im ernst zum springenden Punkt: Sagen wir mal, der Radius ist 1 Meter. Bleiben wir in der reinen Mathematik, so ist die Flächenangabe Pi Quadratmeter sehr genau. Wenn du aber als Ingenieur ran gehst und sagst, dass du das nicht genau messen kannst, dann muss ich dir leider antworten, dass du den einen Meter Radius genau so ungenau nur messen kannst.
Also: In der reinen Mathematik sind 1 und Pi gleich genau, nämlich exakt. Und in der Praxis sind beide gleich ungenau, nämlich beide nur Annäherungen der jeweiligen mathematischen Größe im Rahmen der Messgenauigkeit.
Erkläre das mal deinem Sohn 😉 (Ich habe es gar nicht erst versucht) Und Grüße ihn unbekannterweise von mir.
So genau hatte ich mir das nicht überlegt (Mathematiker vs. Ingenieur), aber ich hätte wohl eher die ingenieurstechnische Herangehensweise im Kopf gehabt.
Dass Pi-R-Quadrat alleroberhöchstexakt ist, stimmt natürlich, hilft in der Praxis aber nicht. Man kann nämlich zu einem Kreis von 1m Durchmesser die Fläche nicht genau in (für praktische Anwendungen wohl nötiger) dezimaler Schreibweise darstellen. Dass das wegen der unvermeidlichen Messungenauigkeit sowieso akademisch ist, hatte ich ja schon geschrieben.
Mal sehen, ob es sich ergibt, dass ich das meinen Töchtern (beides Mädchen) irgendwann mal zu erklären versuche. Ich habe aber den Verdacht, dass sie es wenigstens im Prinzip verstehen könnten. Zumindest die Größere hat ja schon verstanden, dass man mit einer Zahl Pi praktisch rechnen kann, obwohl man sie in Zahlen nicht genau ausdrücken kann (da kommen dann die in mehreren dicken Wälzern ausgedruckten mehreren Millionen Nachkommastellen ins Spiel).
Gerade in der Praxis kannst du zu einem Kreis von 1m Durchmesser eben diesen Durchmesser nicht beliebig exakt messen. Eine Strecke von einem Meter ist in der Praxis genau so unexakt wie eine Strecke von Pi Metern. Bei beiden Strecken wirst du – gleiches Messwerkzeug vorausgesetzt – mit der gleichen mittleren Abweichung nur messen können. Entweder man redet von mathematischen Größen: dann sind Pi und Eins beide exakt. Oder man redet von Größen in der Wirklichkeit: dann sind Pi und Eins im gleichen Maße unexakt.
Das verwirrende ist, dass die Eins im Dezimal-System (oder in jedem anderen ganzzahligem System) sehr einfach anzugeben ist; Pi dagegen aufgrund seiner sogenannten Intransistenz nicht (da kommen die dicken Wälzer ins Spiel!)!
Hm, die Lösung war mir klar – bis ich die mathematische gelesen habe … Nein, eigentlich bis du in der Aufgabenstellung im vorigen Post plötzlich mit WahrscheinlichkeitsRECHNUNG anfingst .. ;P
Die Rechnerei brauchst du in dieser Aufgabe nämlich nicht – da gehst du einfach intuitiv ran – dann weißt du, dass es Fifty/Fifty ist. Entweder Geld oder doppelt soviel Geld. Mehr ist nicht möglich.
Richtig, die Intuition ist an der Stellte richtig. Die Frage war aber, was an der anderen Rechnung falsch ist – eben weil klar ist, dass das Ergebnis nicht stimmen kann!
Weiß ich ja, ich würd antworten, dass die andere Rechnung überhaupt aufgemacht wird, ist falsch – weil es hier so offensichtlich ist!
Damit wurde eher bewiesen, dass man höhere Mathematik nicht im Alltag braucht – weil Intuition hier richtig löst, höhere Mathematik aber Probleme schafft, die nicht da wären, würde man nicht rechnen sondern einfach denken 😉
In diesem Fall hast du tatsächlich Recht. Das ist natürlich eine schmerzhafte Erkenntnis für die Mathematik. Vielleicht sollte ich ein paar Logiker im dunklen Anzug und Sonnenbrillen nach Hannover entsenden, um dich mal vernünftig zu integrieren 😉
Ähem…, hüstl und Entschuldigung! Was ich eigentlich sagen wollte: Du hast recht. Warum beschäftige ich mich trotzdem mit dem Problem? Wahrscheinlich, weil es nicht in meiner Natur liegt, einen logischen Widerspruch unaufgelöst da stehen zu lassen. Jedes logische Problem ist eine Aufforderung (nur für Leute wie mich, wohlgemerkt), gelöst zu werden. Und ein logischer Widerspruch ist gar das Schlimmste, wie ein Knoten im Seil, ein Stau auf der Autobahn, eine Störung in der Macht…
Aber es stimmt: solche Probleme macht man sich selber – und das tut man hoffentlich nur, wenn man Spaß daran hat, sie aufzulösen!
Ach, Rätsel sind doch ein lustiger Zeitvertreib, wenn man Zeit dafür hat. Ob jetzt mathematische oder nicht.