Es gibt einen Mathematiker-Witz, der geht ungefähr so:
Ein Ingenieur, ein Physiker und ein Mathematiker sollen mit einem vorgegebenen Zaun eine möglichst große Fläche eingrenzen. Der Ingenieur setzt den Zaun zu einem Quadrat. Der Physiker, mathematisch etwas fitter, setzt den Zaun zu einem Kreis. Der Mathematiker aber wickelt den Zaun um sich herum und sagt: Ich bin draußen!
Für den naiven Zuhörer liegt der Witz darin, dass der Mathematiker, unbeeindruckt von der Realität, definieren kann was er will. Der topologisch etwas gebildetere Leser dagegen weiß, dass der Mathematiker real sogar recht hat. Lebten wie auf einer Fläche, so könnte man den Mathematiker als Spinner abtun; aber tatsächlich befinden wir uns auf einer Kugeloberfläche, und somit hat jede „kleine“ Kreisfläche als Komplementärfläche eine ungleich größere Kreisfäche (nämlich die restliche Erdoberfläche), die sich beide den gleichen Rand (hier der Zaun) teilen.
Und falls einer nachfragt: ja, die Komplementärfläche ist tatsächlich ein Kreis, auch wenn sie wie eine Kugeloberfläche mit Loch daherkommt. Und zwar, weil sie einen Mittelpunkt hat, von dem alle Randpunkte gleich weiter entfernt sind. Nicht-euklidische Geometrie ist halt gewöhnungsbedürftig.
Aber stellt euch eine kleinen Kreis um den Südpol vor, und nun vergrößert den Radius, immer weiter. Irgendwann liegt der Umfang auf dem Äquator und ist somit maximal groß. So einen Kreis nennt man Großkreis, vorher war es noch ein Kleinkreis. Aber den Radius kann man noch weiter vergrößern, die Fläche des nun komisch aussehenden Kreises wächst weiter, nur der Umfang verkleinert sich wieder, bis er irgendwann einen kleinen Kreis um den Nordpol darstellt. Spooky!
Der Mathematiker in dem Witz ist sich also bewusst, dass er mit dem Zaun nicht ein, sondern zwei Gebiete abgrenzt, und dass die Definition, welches Gebiet die eigentliche sei, noch getroffen werden muss. Diese Entscheidung trifft er dann auch, allerdings entgegen der intuitiven Definition seiner sich auf einer Fläche wähnenden Mitmenschen. Manchmal ist eben nicht klar, wo innen und wo außen ist.
Kommen wir also zum derzeit alles beherrschende Thema: der Corona-Virus. Der neuartige Virus, bzw Covid-19, bzw die dazugehörige Epidemie oder Pandemie… Ich bin Mathematiker, nicht Virologie, also belasse ich es mal beim Begriff Corona.
Wie ich inzwischen gelernt habe, gehört zu jeder guten Epidemie eine Quarantäne. Klassischerweise werden dadurch die Kranken eingegrenzt und somit von den Gesunden abgegrenzt. Gleichzeitig aber grenzt man somit umgekehrt die Gesunden von den Kranken ab und von den Quarantäne-Gebieten aus. So kann manch einer nicht mehr seine im Kreis Heinsberg wohnenden Liebenden besuchen oder seinen bereits gebuchten Oster-Urlaub in Italien antreten.
Was passiert nun, wenn die Kranken immer mehr werden und irgendwann gar die Mehrheit stellen? Wenn das Quarantäne-Gebiet größer als das übrige Gebiet ist? Im Extremfall landen wir bei dem aus zahlreichen Film bekannten Zombie-Szenario, in dem das Nicht-Quarantäne-Gebiet eine ummauerte Stadt oder ein desolates Einkaufszentrum darstellt.
Hier hat also der Radius eindeutig den Äquator überschritten. Im Film kommen die Überlebenden meist recht verzweifelt daher. Ich hoffe, dass bei uns in wenigen Wochen nicht die gleiche Hoffnungslosigkeit wie bei Dawn Of The Dead herrscht. Dabei könnte uns zu Gute kommen, dass mit dem Corona-Virus infizierten Menschen in aller Regel (gesundes Immunsystem vorausgesetzt) wieder gesunden und außerdem im Krankheitsverlauf keinen besonderen Appetit auf Menschenhirn zeigen (so weit man der Berichterstattung glauben darf).
Und falls doch, dann haltet euch an dem Mathematiker, der irgendwo in eurem verbarrikadierten Schutzgebiet auf dem Dach eines umzingelten Einkaufszentrums steht und in den Himmel ruft:
Ich bin draußen!