Es könnte mir bald zur Angewohnheit werden, in der gleichen Stadt wie der Bundeskanzler zu wohnen.
Ich war ja lange Jahre Hannoveraner, und ich erinnere mich gut an die Bundestagswahl 1998. Da saß ich in meiner Studentenbude, zusammen mit einigen Freunden vor unserem Sperrmüll-Fernseher mit dem wackeligen Empfang, und wir waren von einer fast traumhaften Aufbruchsstimmung erfasst: Nicht nur war der alte Kohl, der ewige Kanzler unseres Lebens und Personifizierung alles Schlechten im Deutschlandbild eines linken Studenten, endlich abgewählt. Nicht nur war endlich Rot–Grün an der Macht, womit sich alles schon fast automatisch zum Guten wenden würde – nein, plötzlich stand unser unbekanntes Hannover im Mittelpunkt der Weltgeschichte!
Unser Bundeskanzler, ein Hannoveraner! Und wohnte nicht die Bildungsministerin in jenem Stadtteil, und der Umweltminister dort?
Als sich Gerhard Schröder sieben Jahre später die Vertrauensfrage stellen ließ, war ich vor kurzem ins verschlafene Aachen gezogen. Aachen war, so musste ich feststellen, dem (deutlich größeren) Hannover in vielem hinterher. Wo in Hannover zur Expo 2000 der Hauptbahnhof modernisiert worden war, stellte sich der Aachener Hauptbahnhof als düsterer Ankunftsflur mit abgehangener Decke dar. Wo sich in Hannover schon Bürgerbüros mit Rundumbearbeitung etabliert hatten, musste ich in Aachen zur Geburt meines ersten Kindes noch diverse Papierfetzen von Amt zu Außenstelle zu Büro zu Amt herumtragen. Wo in Hannover die vielen Grünanlagen zur Teilnahme am Leben einluden, stand auf dem Ferber-Park in Aachen noch ein verwittertes Schild, welches mindestens Hunde, Fußball und Essen verbot. Kinder waren keine zu sehen, wahrscheinlich waren sie mindestens implizit verboten.
Zur Ehrenrettung meiner neuen Heimat muss ich sage, dass sich das alles schon in den nächsten Jahren wandelte. Schon 2006 wurde der umfassend renovierte Aachener Hauptbahnhof eröffnet, bei der Geburt meines zweiten Kindes musste ich nur noch zu einem Bürgerservice meiner Wahl und zum Standesamt, und der Ferber-Park ist heute ein lebensfroher Ort voller spielender Kinder und Erwachsene. Und nun… wird Aachen auch zur Kanzlerstadt?
Jetzt will ich hier nicht politisch werden, also: halten wir es einfach mal für möglich, dass Armin Laschet unser nächster Bundeskanzler wird. Wenn nicht gar für wahrscheinlich, denn die CDU wird wohl zwangsläufig den nächsten Kanzler stellen, wenn die Wahlergebnisse nicht ganz drastisch von den Umfrageergebnissen der letzten Jahre abweichen. Da steht nur der Söder im Weg, und ich könnte mir gut vorstellen, dass die CDU aus strategischen Gründen den Laschet als Kandidat vorzieht. Nicht nur, weil Laschet gerne unterschätzt wird, sondern auch, weil Söder ein Risiko ist. Söder polarisiert, er würde eventuell mehr Stimmen abschrecken als hinzugewinnen. Laschet dagegen ist so risiko- wie richtungslos. Er trifft kaum unbeliebte Entscheidungen, weil er seine Entscheidungen sowieso erst dann trifft, wenn sie längst unumgänglich sind. Seine Fehler sind meist bloße Fettnäpfchen; deswegen wandert kaum ein CDU-Wähler zur SPD oder den Grünen. In Zeiten, wo einem der Sieg fast sicher ist, wählt man risikoarm. Und um auch was positives über Armin Laschet zu sagen: Ich glaube, dass er ein netter Mensch ist. Und eventuell ist er auch einer, der an seinen Aufgaben wächst.
Und deswegen könnte es gut sein, dass ich bald wieder in der Stadt des Bundeskanzlers wohne werden, auch wenn ich diesmal weniger euphorisch, von Familie umgeben vor einem besser funktionierend Fernseher sitzen werde.
Und auch wenn ich in der gleichen Stadt wie Gerhard Schröder wohnte, bin ich ihn doch nur einmal (während seiner Kanzlerschaft) begegnet, und das war auch ein bisschen peinlich. Ich spazierte mit zwei Freunden durch die Innenstadt, und vor dem überdachten Restaurant im Alten Rathaus stand der Herr Bundeskanzler samt Frau Doris und Kind und bezahlte und schnackte. Ich schaute zwei mal hin, und versuchte dann fürchterlich aufgeregt meinen Kumpels mitzuteilen, wer dort gerade stand. Warum auch immer, aber so bin ich halt. Meine Freunde, im Gespräch vertieft, nahmen mich überhaupt nicht wahr. Also versuchte ich es noch einmal. Kein Erfolg. Daraufhin stieß ich sie an und sagte doch etwas lauter:
„DORT STEHT GEHRARD SCHRÖDER!“
Und zwar laut genug, dass auch das gesamte Restaurant das hörte. Meine Begleiter guckten, lachten, und ich wurde sehr sehr rot. Und Doris schaute mich an und sagte: „Was bist du für ein Idiot?“ Nein, das tat sie natürlich nicht, aber ich bin mir sicher, dass sie das dachte.
Doris S.-K. traf ich noch mal in der Fußgängerzone, aber da trug sie eine große Topfpflanze vor sich her und konnte wahrscheinlich kaum was sehen. Glück gehabt. Und Hiltrud (Schröders Frau vor Doris) sah ich mal mit einer Gruppe zukünftiger Sponsoren im Regenwaldhaus (heute Teil des dortigen Sea Life). Ach ja, und die Tochter von Doris aus erster Ehe ging in die Grundschule direkt neben meiner Wohnung, so dass ich jeden Morgen auf dem Weg zur Uni mit dem Fahrrad durch die zur Beobachtung abgestellten Polizeiwagen schlängeln musste.
Also alles nicht sehr aufregend.
Und Armin Laschet bin ich bisher auch erst einmal begegnet, das war mit der vielköpfigen Musikkapelle, in der ich spiele. Zur privaten Feier eines Vereinsmitglieds spielten wir im Garten seines Reihenhauses, und im angrenzenden Reihenhaus wohnte tatsächlich unser Ministerpräsident, der dann auch auf ein Stündchen vorbeischaute. Auch hier waren vor der Häuserreihe ein paar Wagen zur Beobachtung abgestellt, aber ansonsten war das nicht sehr aufregend – außer, dass ich nach der Begegnung mit Gerhard Schröder vor vielen Jahren diesmal sehr bemüht war, keine Peinlichkeit zu begehen. Und ich glaube, dass ist mir auch gelungen. Selbst als ich mich irgendwann am Buffet an Armin vorbeischlängeln musste, habe ich das mit einem würdevollen Kopfnicken gemeistert. Keine Suppe auf ihn verschüttet, keine versehentliche Umarmung, und vor allem kein unbedachter Spruch.
Ich bin gesellschaftsfähig geworden, der Kanzler kann kommen.
Oh bitte bitte nicht Armin Laschet als neuen Kanzler…
Ich hoffe sogar inständig, dass NRW einen neuen Ministerpräsidenten bekommt, jetzt, wo er erster Mann der CDU ist. 😏
Ich wäre ja für Scholz und werde vermutlich (wie meist) SPD wählen, aber da höre ich auch auf den Wahl-O-Mat, wenn der kurz vor der Wahl so weit ist. Ich bin da recht flexibel. Ja, Laschet kann ich mir echt nicht als Kanzler vorstellen, aber das konnte ich mir damals bei der Merkel auch nicht.
Ich mag alle drei nicht und habe einen anderen favorisierten Politiker, den ich liebend gern als Kanzler sehen würde. Nur steht der leider nicht zur Diskussion. 😔
Hab einen schönen Abend, liebe Grüße Bea
Moin. Eine schöne Geschichte über „unseren“ Kanzler von damals und Hannover, die „schönste Stadt unter den hässlichen“ 😉 Oh ja, da werden Erinnerungen wach ….
Grüße von einem Ostholsteiner mit niedersächsischem Migrationshintergrund
Was für eine schöne Beschreibung 🙂 „Die Schönste unter den Hässlichen“. Danke dafür!